Joinmusic über Sweet Silence
Der Morgenstern ist kein Himmelskörper. Der Morgenstern ist eine Wuchtwaffe. Eine ziemlich furchteinflößende noch dazu. Sie stammt aus dem Mittelalter und galt wegen der mit ihr beizubringenden fiesen Verletzungen schon damals als wenig galant. Dass Barbara den Morgenstern im Nachnamen trägt, kann also nur gutgemeinter Zufall sein: mehr popkulturelle Eleganz als auf ihrem neuen Album “Sweet Silence” passt wohl auf keine CD der Welt.
Barbara Morgenstern hört bzw. liest das vielleicht nicht so gern – eine Veteranin der klugen deutschen Elektronik ist sie trotzdem. Der Avantgardismus von AGF und Gudrun Gut geht ihrer Musik größtenteils ab – Zusammenarbeiten mit den beiden sind dennoch nicht ausgeschlossen. Viel stärker als ihre Kolleginnen aber findet Barbara Morgenstern seit ihrem vor 12 Jahren veröffentlichten Debüt immer andere und stetig zielführendere Wege durch den Pop-Dschungel bzw. an ihm vorbei. Was vor knapp 15 Jahren noch nach enorm kostengünstigem Equipment, um nicht zu sagen Gameboy-Ästhetik, klang, ist auf “Sweet Silence” seinem vorläufigen Höhepunkt zugeführt wurden.
Die 13 auf “Sweet Silence” enthaltenen Tracks sind zwar weder großartig komplexer arrangiert, noch unterscheiden sie sich anderweitig stark von Morgensterns früheren Kompositionen – allesamt bauen auf eine übersichtliche Instrumentierung, ein klares Melodie-Gerüst und den Verzicht auf rhythmisch komplizierte Schnörkeleien. Tatsächlich anders und neu ist allerdings die Produktion, das Sound-Design. Marco Haas, bekannt geworden als brachialer Tanzflur-Berserker, T.Raumschmiere und Shitkatapult-Gründer, hat “Sweet Silence” produziert und damit für den ersten so richtig amtlichen Sound auf einer Barbara Morgenstern Platte gesorgt.
Selbstverständlich hat er dabei darauf geachtet, dass Morgensterns Signatur – dass ihre Musik bei aller Professionalität immer auch nach Most aus dem eigenen Garten klang – erhalten und wieder erkennbar bleibt. Gleichzeitig erstrahlen die Bässe raumgreifender, die Kickdrum wabert wohliger in Richtung Magengrube und die Loudness-Taste bleibt ganz allgemein ungedrückt. Sogar Morgensterns Gesang ist jetzt eher Lego-Technik als Playmobil. Wie ganz die Arbeit ist, die Haas geleistet hat, lässt sich am besten auf einem der beiden Instrumental-Stücken des Albums, “Hip Hop Mice”, nachvollziehen, das ganz nebenbei klingt, als hätte es auch auf “Tesri”, der Kollaboration mit Robert Lippok, wunderbar Platz gefunden.
Ansonsten erstaunt Morgenstern mit einem Album, dass Songs ausschließlich in englischer Sprache enthält. Beeindruckend daran ist weniger Morgensterns Mehrsprachigkeit, sondern die Tatsache, dass sie eben auch deswegen sehr viel eher klingt wie Annie Lennox. Besonders in den tieferen Registern frappiert die Ähnlichkeit ungemein. Für Morgenstern, deren vokale Qualitäten immer schon ahnbar waren, ein Schritt in die unbedingt richtige Richtung – findet der Autor. Wehmutstropfen: Frau Morgensterns teutonischer Akzent.
Aber: siss is not sie end. Denn “Sweet Silence” ist ein durch und durch gelungenes Elektro-Pop-Alben, dass nicht überreden will, sondern die Ohren von ganz allein überzeugt. Dafür sorgen neben dem Reichtum an Melodien und Harmonien die immer wieder überraschenden Dramaturgien der einzelnen Tracks. “Auditorium”, mit seinem Fender-Rhodes-Lick, und “Status Symbol”, das Morse-Stück, bei dem der Beat erst spät einsetzt, gehören hier zu den Ersten unter Gleichen. Aber auch das björkeske und sechs-achtelige “Night-Time Falls” sowie das sich erst fast am Ende als melodische Wundertüte entpuppende “KooKoo” gehören zu den Songs mit dem Bitte-Immer-Wieder-Faktor. Ganz weit oben auf der Lieblingsskala des Autoren aber rangiert “Need To Hang Around” – das einzige, was dem Song noch fehlt, ist ein DJ Koze Remix. Und das Eingeständnis Roisin Murphys, dass es sich hierbei um den besten Moloko-Song handelt, den Moloko nie geschrieben haben.
Laut.de über Sweet Silence
Die Berlinerin kehrt zurück in die Clubs.
Für Überraschungen ist es nie zu spät, wie im aktuellen Fall das Durchhören des neuen Barbara Morgenstern Albums "Sweet Silence" beweist. Seit rund 15 Jahren ist sie als Musikerin und Produzentin im Bereich der elektronischen Musik im weitesten Sinne unterwegs und tobt sich da zumeist auf Spielwiesen abseits des Massengeschmacks aus. Mit ihrem inzwischen sechsten Longplayer legt die Berlinerin nun eine Liebe zu Club und Pop an den Tag, die man von ihr in dieser expliziten Deutlichkeit nicht unbedingt erwarten durfte.
Tonspion über Sweet Silence
Alles auf Anfang
Zurück mit einem neuen Album, setzt Barbara Morgenstern auf Lockerheit und Luftigkeit, sowie komplett englischsprachige Texte und scheint sich verdammt wohl dabei zu fühlen.
Seit Mitte der 90er ist Barbara Morgenstern Teil der Berliner Elektro-Szene um Gudrun Gut und ihren Ocean Club. Durch viele Remixe und Features hat sie sich über die Jahre einen Namen gemacht. Aber auch ihr unverwechselbarer Gesang, untermalt von melancholischen, leicht angetrashten Keyboard-Sounds lässt sie aus der Masse herausstechen. "The Operator" oder die Großstadt-kritische Single "Come To Berlin" hat man auf jeden Fall schon häufiger mal gehört.
Nun bringt sie ihr inzwischen siebtes Album "Sweet Silence" raus, das wie üblich auf Gudrun Guts Label Monika Enterprise erscheint. Im Unterschied zu den sowieso schon sehr freundlichen Vorgängern klingt dieses Werk noch optimistischer. Die Single "Spring Time" zeigt das ganz gut. Unbeschwert galoppiert der Beat voran. Klingt wie Sonnenauf- und Untergang mit dem Berlin-Panorama im Visier. Um mit ihrer Musik wie viele ihrer Indie-Kollegen auch im Ausland auftreten zu können ohne für fragende Gesichter zu sorgen, hat sie nun ihre Texte auf die Weltsprache Englisch umgestellt. Und das steht ihren Songs ausgesprochen gut, auch wenn sich immer noch nicht jeder mit ihrer typischen Art zu singen wird anfreunden können.
Intro Magazin über Sweet Silence
Sind das da umherflatternde Schmetterlinge auf dem neuen Album der Berliner Electro-Fricklerin? Vielleicht. Die machen einen beflügelten Hindernislauf um reduzierte Keyboard- und Drumcomputer-Tunes. Sommertauglich!
Sparsam instrumentierte Melodien mit warmem Gesang und freundlicher Atmosphäre ausstatten ... Bei aller digitalen Reduktion und konsequenten Schlichtheit im mitunter unterkühlten Klang läuft auf »Sweet Silence« alles total entspannt und luftig wie bei einer sonnigen Cabriofahrt. Umso charmanter, dass der Soundmotor hier und da rumpelt und quietschende, stolpernde oder taumelnde Loops ausspuckt.
Dazu klackert wie auf »The Minimum Says« ein Beat, der als verkürzter Cha-Cha-Cha in die Melodie tanzt. Morgenstern kann aber auch mondän, wie die Cocktailparty-Stimmung auf »Spring Time« zeigt. Das Ganze mit englischen Texten, die der Berlinerin gänzlich unkompliziert von den Lippen perlen. Und als ob der schmackhafte Eisbecher nicht schon groß genug wäre, gibt es auch noch zwei Instrumentals: das kurze melancholisch-verklärte »Bela« und das leichtfüßig bouncende »HipHop Mice«. Bitte Sonnenbrille passend zu den Kopfhörern kombinieren.
Radio Eins über Sweet Silence
Zurück zu den Wurzeln bedeutet für Barbara Morgenstern zurück zum Pop. Genau da ist die 41jährige auf ihrem aktuellen Album wieder gelandet. Zuckersüße Elektro-Melodien, die vom Berliner Produzenten T.Raumschiere zum Glück auch etwas „verschmutzt“ wurden.
Gaffa über Sweet Silence
Elektroniska, intrikata och mjukt slingrande sånger som skaver.
Barbara Morgenstern är kanske inte känd hos den stora publiken, men hon har en mindre, trogen skara som fallit pladask för henne. Några upptäckte henne via samarbeten med tyska kollegor som Pole, Maximilian Hecker och To Rococo Rot. De flesta älskar henne dock för hennes egna elektroniska, intrikata och mjukt slingrande sånger, som gärna borrar sig in i hjärtat likt små skärvor av aluminium.
Det är sånger som skaver mjukt. Morgenstern gör det sällan enkelt för sig. Hennes musik är sällan bekväm. Men anstränger man bara öronen lite, framträder snart överraskande trallvänliga melodier, studsiga takter och – framförallt – Morgenstern själv. För om det är något ord som beskriver Sweet Silence så är det just "personligt". Efter att par lyssningar känns det nästan som att man känner henne, och även om man inte lyssnade på ett ord hon sjöng, vet man likväl att det hon sa var ärligt, sant och ganska så klokt. Man blir berörd, helt enkelt.
Ondarock über Sweet Silence
Inframezzato dalle prove in gruppo con i September Collective ("Always Breathing Monster" del 2009) e l'esperimento jazz insieme a Bill Wells, Annie Whitehead e Stefan Schneider ("Paper Of Pins" sempre del 2009), "Sweet Silence" arriva a quattro anni di distanza da "BM" accompagnato da una buona dose di sorprese.
Con le ultime uscite l'artista berlinese sembrava aver abbandonato l'electro-pop tipicamente tedesco, marchio di fabbrica molto in voga ad inizio anni Zero. Lo stesso "BM" si smarcava in modo netto da certe trame proponendo un pop orchestrale dal fascino irresistibilmente retrò e raffinato, la cui componente elettronica si riduceva ad alcuni ricami.
"Sweet Silence" sembra invece tornare indietro di una decina d'anni. Infatti la struttura è quasi completamente sintetica, tanto che nei pezzi cantati pare di sentire un synth-pop primordiale, robotico, in cui l'evocazione dei Kraftwerk è quasi scontata (si ascolti l'intro di "Highway", in cui lo spettro dei maestri di Düsseldorf si aggira già nel titolo).
In questo disco la prima cosa che risalta in maniera lampante è la bellezza dei suoni. Un album elettronico riesce a sollevarsi dalla media se le melodie sono belle, inusuali, frizzanti e non statiche. In "Sweet Silence" troveremo un campionario sterminato di composizioni impossibili da dimenticare - infatti, fin dall'iniziale title track, passando per la magnifica e gelida "Spring Time", saremo assaliti dall'inappuntabile grazia di ogni singolo pertugio.
Il nuovo lavoro si muove però anche su un ulteriore livello, che potremmo definire quasi "cantautorale". Forte delle recenti esperienze di reading poetry (il progetto "Only My Pen Tolerates My Choices"), senza dimenticare il cameo nel canzoniere della concittadina Antye Greie-Fuchs, la Morgenstern sembra voler allargare il proprio raggio d'azione, abbandonando per una volta la lingua tedesca e abbracciando un campo lirico alquanto esteso, che spazia da frammenti di routine quotidiana a quiete riflessioni esistenziali, con la solita penna sottilmente canzonatoria, ma con una marcia in più in termini di poetica e comunicatività.
È grazie a questa combinazione, quindi, che "Sweet Silence" funziona alla perfezione come disco pop brillante e maturo, composto da tredici tasselli che si reggono peraltro benissimo anche singolarmente: il leggiadro synth-pop di "Need To Hang Around", il gioco a incastri di sampling vocali di "Kookoo", il gentile upbeat di "Jump Into The Life-Pool" (che riproduce sinteticamente quell'eterno movimento a spirale qual è il cerchio della vita) fino alla sinuosa deviazione electro di "Auditorium", in cui è più percepibile la mano di T. Raumschmiere in regia, e il bel crescendo glitch-techno di "Status Symbol", unico pezzo ad osare oltre i quattro minuti.
Diretto e incalzante, "Sweet Silence" è un esempio magistrale di leggerezza e lavoro certosino, di essenzialità e freschezza primaverile. Per un disco che si rifà a modelli creduti morti e stantii non è davvero niente male.
Westzeit über Sweet Silence
Die Momente, die kurz vor dem Tod an einem vorbeiziehen, die kurzen Momente der Ruhe – darum geht es in dem Song „Sweet Silence“, den Barbara Morgenstern auch als Titel für ihre aktuelle CD gewählt hat. Sie hat sich nicht verirrt im fernsehtauglichen Pseudopop, sondern ganz bewusst dafür entschieden, sich mit ihrer Musik in der Clubszene wohlzufühlen. Wenn das Publikum denn da mitmacht...
"Obwohl, so richtig „technoid in Richtung Wolfgang Voigt oder Villalobos gehe ich nicht. Ich mag die Tracks zwar, bin aber keine ausgiebige Clubgängerin mehr.“
Die Gefahr, dass das Album ignoriert werden könnte, ist weit und breit nicht zu befürchten.
„'Sweet Silence' hat neben dem Flashback-Gefühl im Angesicht des eigenen Todes auch noch etwas Bittersüßes. Ich würde nicht sagen, daß es bis jetzt mein unemotionalstes Album ist. Aber es ist das mit der wenigsten Schwermut. Ich hatte Lust auf unbeschwerte Sachen und wollte einfach nur loszulegen,“ sagt Barbara Morgenstern. Wo man vielleicht Romantik vermuten könnte, legt Barbara Morgenstern ihren Fokus auf eine auch live funktionierende Club-Kompatibilität. Romantisch sind eher die anderen Alben, hier hieß die Devise: etwas weniger vertrackt als die Vorgänger, minimierter vom Sound her, etwas klarer. Dass der Sound etwas kühl wirkt, liegt vielleicht daran, daß der Sound rein digital entstanden ist und es keine analogen Zutaten gibt.
„Das hat sich aus dem Arbeitsprozess so ergeben, weil alles andere für mich nicht diesen Reiz besaß.“
Niemand hat Erfahrung darin, wie Flashback-Augenblicke vor dem Tod sein könnten, wie sie sich anfühlen. Barbara Morgenstern erklärt dann genau, was sie mit diesen Momentaufnahmen meint.
„Im Titelsong geht es mir darum, was zieht am Ende des Tages, was zieht in diesem Moment an einem vorüber. Im Moment der totalen Stille, welche Elemente bleiben über, die einem wirklich etwas Wert sind. Das sind für mich Momente der Ruhe, und das möchte ich vermitteln.“
Da kehrt dann doch eine Variante der Romantik zurück, wenn sie von einem „tief empfundenen Glück in einem ruhigen Moment“ spricht. Die Initialzündung, sich mit elektronischer Musik zu beschäftigen, bestand für Barbara Morgenstern in dem Wunsch, einen eigenen Sound zu gestalten, „weil der Computer die Möglichkeiten bietet, für mich alleine, bietet, die eine normale Band einfach nicht erfüllen kann.“ Damals besaß sie einen Korg M1 und komponierte damit die ersten Stücke. Es folgten Atari und McIntosh, die benutzte Hardware zog sich durch die komplette Musik-Computerhistorie. Was lag näher, als den Begriff ´Do It Yourself´ (DIY) Mitte der neunziger Jahre als kreative Basis zu benutzen?
„'Do it yourself' ist für mich eine Freiheit, überhaupt an die Musik heranzugehen, keinen großen Katalog an Vorwissen im Rücken zu haben, sondern einfach zu machen, sehen was passiert, auch Fehler zuzulassen. Dieses Selbstverständnis ermöglich einen freien, unbelasteten Zugang.“
Trotzdem sieht sich Barbara Morgenstern nicht als ´Frickeltyp´. Sie beschäftigt sich zwar mit dem Sound, aber in Grenzen. Natürlich bastelt auch sie am Endprodukt noch herum und verändert hier die Snaredrum oder da frickelt da am Bassdrum-Sound.
Meistens ist erst die Musik fertig, dann kommen die Texte hinzu. Wie findet sie einen passenden Text?
„Ich sammle einfach Themen, die mich beschäftigen. Meistens ergibt es sich im Arbeitsprozess, im Flow, daß ich merke, welche Musik zu welchem Thema passt.“
Neben den getexteten Stücken taucht ein Titel auf, der als Instrumentalnummer auf dem Album steht: ´Hip Hop Mice´, der etwas nach elektronischer Avantgardemusik früherer Zeiten wie von Moebius-Roedelius oder Cluster klingt.
„Früher habe ich diese Bands nicht gehört, weil ich dafür einfach zu jung bin. Eingestiegen ins Musikhören bin ich erst Mitte der achtziger Jahre mit Bauhaus und New Order. Erst in letzter Zeit habe ich mir auch Cluster angehört, mit Harmonia hatte sogar der von mir geleitete Chor im Berliner 'Haus der Kulturen' einen gemeinsamen Auftritt. Ich komme jetzt eigentlich erst bei diesen Pionieren aus. Ich glaube, daß es jetzt wieder ein Revival um Gruppen wie Neu, Cluster oder Harmonia gibt.”
Um der süßen Stille am Abend eines Tages, am Ende eines Lebens – einstweilen – zu entgehen, bietet sich ein glasklarer Tanz zum Titel ´Jump Into The Life-Pool´ an. Glasklar wegen der Transparenz, und weil die Leichtigkeit der Barbara-Morgenstern-Musik eine feine Prise Entspannung bereithält.
Der Tagesspiegel über Barbara Morgenstern und das neue Album Sweet Silence 06/2012
Das süße Schweigen
Barbara Morgenstern prägt Berlins Electronic-Szene seit vielen Jahren. Auf ihrem siebten Album zeigt die 41-Jährige nun ihre lebensfrohe Seite - und singt zum ersten Mal nur Englisch.
Neues Album fertig machen, sich zurücklehnen und den Rest der Arbeit dem Plattenlabel überlassen? So war das vielleicht früher einmal. Aber jetzt ist alles anders. Barbara Morgenstern, 41, sitzt in ihrer Altbauwohnung in Berlin-Mitte, die glatten braunen Haare wie gehabt nicht ganz schulterlang und mädchenhaft, und zitiert eine Freundin: „Das Understatement der neunziger Jahre – vergiss es, das ist vorbei.“ Eine neue Platte herauszubringen, das bedeutet 2012 für sie: Gemeinsam mit dem Lebenspartner, einem Webdesigner, die Online-Promotion-Arbeit übernehmen. Kontakte spielen lassen, um Konzertauftritte an Land zu ziehen. Facebook, Youtube, Soundcloud und andere Internet-Schnittstellen bedienen.
Stücke zum freien Download anbieten. Blogs anschreiben: „Ich schreibe: Hey, jetzt habe ich diesen tollen Song gemacht. Und denke mir dabei: puh – interessiert das überhaupt jemanden? Wenn die Leute nicht von dir gehört haben, dann bist du einfach nur eine Spam-Mail mehr. Ich habe ja ein gewisses Standing. Aber wenn du neu bist – superhart“.
Neu ist Barbara Morgenstern wirklich nicht. Die in Hagen geborene Musikerin gehört seit 1994 zur Electronic-Szene Berlins, hat sich mit leisen und melancholischen Klängen, mit mehrdeutigen deutschen Texten einen Namen gemacht. Dass elektronische Musik „Made in Germany“ weltweit zum Markenzeichen geworden ist, liegt auch ein bisschen an ihr. Auf „Sweet Silence“ (Monika Records), dem neuen Album, singt Barbara Morgenstern nun erstmals komplett in Englisch. „Ich wollte etwas machen, was zugänglicher ist“, begründet sie den Schritt, „elektronische Musik und deutsche Texte, das hat sich ein bisschen überlebt.“
Die Fremdsprache geht der Musikerin ganz gut über die Lippen, ein leichter Akzent sorgt für eine charmante Note. Sie erzählt mal persönliche, mal politische Geschichten. Eingebettet sind die Texte in komplett elektronische, sehr luftige Sounds. Barbara Morgenstern spricht von ihrem bislang „ausgedünntesten Album“, die sehr hellen, manchmal fast schon glockenspielartigen Sounds umspielen die reduzierten Beats: „Poppig ist natürlich immer ein Superschwammwort, aber ich hatte vor, ein poppiges Album zu machen, ich wollte für mich selber ein Spaßalbum machen. Im Sinne von: Ich denk jetzt nicht so viel nach“.
Das Berliner Clubleben hat ihren Sound geprägt
Seit 1994 lebt Barbara Morgenstern in Berlin, ihre Musik hat mehr als nur ein bisschen was mit der Stadt zu tun. Das Clubleben hat seine Spuren in den Songs hinterlassen, genauso wie die Musiker, die sie in dieser Zeit kennengelernt hat, von Gudrun Gut über Thomas Fehlmann und Pole bis hin zu Planningtorock.
Auch der poppige Sound auf dem neuen Album ist nicht allein ihr Werk, mitverantwortlich ist Marco Haas. Der Berliner Produzent und Mitbegründer des Labels Shitkatapult, der unter seinem Pseudonym T. Raumschmiere normalerweise bratzige, knarzige Technoklänge hervorbringt, hat „Sweet Silence“ gemischt und dabei eigene Vorlieben zurückgestellt. Die Stimme Morgensterns hat er ohne große Effekte aufgenommen, die Melodien kommen spielerisch daher, die Beats mal gerade, mal ein bisschen verstolpert, aber selbst dann machen sie keinen übermäßig verkopften, zu komplexen Eindruck.
Marco Haas hat sich also auf die Singer-Songwriterin Barbara Morgenstern eingelassen, ihre Persönlichkeit in Sound übersetzt: Wahrscheinlich kann sie auch anders, aber sie ist, wenn man sich mit ihr unterhält, sehr quirlig und wach und locker. Diese unbeschwerte, lebensfrohe Seite spiegelt „Sweet Silence“ wider. Und das ist vielleicht das eigentlich Überraschende an Barbara Morgenstern im Jahr 2012. Dass ihren Songs komplett das Dunkle fehlt, das einen großen Teil ihrer früheren Lieder ausmachte.
Dabei gibt es eigentlich genug Gründe, sich ein wenig Sorgen zu machen und düster in die Zukunft zu schauen: Von ihren sechs Alben verkaufte Barbara Morgenstern jeweils nur ein paar tausend. Aber das brachte immer noch so viel ein, dass sie sich an das nächste machen konnte. Bei „Sweet Silence“ war es schon schwieriger: „Ich habe mich gefragt: Wovon lebe ich in der Zeit? Wie bezahlt man die Promo?“ Live-Auftritte sind auch nicht einfacher geworden. Der Markt ist überflutet, das bekommt auch Barbara Morgenstern zu spüren.
Und dann ist da ja auch noch das Internet, das alle Spielregeln geändert hat: „Es ist gerade eine komische Übergangszeit. Es ist schwieriger geworden. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass gerade viele neue Sachen entstehen, wo es bei vielen Leuten auch so knallt und abgeht.“ Und so schwankt die Musikerin zwischen „Geil, es fängt was Neues an!“ und „Es geht alles den Bach runter!“
Aber gäbe es denn überhaupt eine Alternative zum Musikmachen für sie, deren ganzes Leben um die Musik kreist? Barbara Morgenstern fing als Kind mit dem Klavierspielen an, kam dann über den Jazzunterricht zum Komponieren. Sie könnte sich vorstellen, Kurzfilme zu drehen, ihren eigenen Blog zu schreiben. Konkret ist nur die Angst vor einem Leben ohne Musik. Doch dann scheint schnell die Optimistin durch: „Ich fühle mich wieder ein bisschen so wie am Anfang. Es ist wie früher, es ist wie ein Neuanfang.“ Ein Neuanfang namens „Sweet Silence“.
Mkzwo Magazin über Sweet Silence
Barbara Morgenstern hat ein neues, rein elektronisches Album aufgenommen (...) und man fragt sich weshalb es dieses Album nicht schon viel früher gegeben hat von ihr. Eine gekonnter Ausflug in die Welt aus Elektronika und Clubmusik mit englischen Texten. Gut und schön! Als Gäste: T.raumschmiere, Marc Marcovic, Chor der Kulturen der Welt, Tonia Reeh (tbc). Die Wahlberlinerin Barbara Morgenstern veröffentlicht seit 1996 regelmässig ihre Alben auf dem Monika-Label von Gudrun Gut. Sie war Mit-Initiatorin der Berliner Wohnzimmerkonzerte mit Quarks, Contriva etc. Mitte der 90er in Berlin und absolvierte 2004 mit Maximilian Hecker und Band eine vom Goethe Institut organisierte Welttournee durch 34 Städte. Ihr Markenzeichen war am Anfang ihrer Karriere die Verbindung von unprätentiösen, deutschen Alltagsbeschreibungen, elektronischen Sounds und einer alten DDR-Vermona Heimorgel, die sie in den letzten Jahren gegen einen Flügel eingetauscht hat. Ihre Kooperationen lesen sich wie ein Who is Who der zeitgenössischen Musik: Stefan Schneider (Torococorot, Kreidler), Robert Lippok (Torococorot), Bill Wells, Annie Whitehead, Pole, Justus Köhncke, Robert Whyatt etc..!