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Notes über BM

ox-fanzine über BM

Guten Tag, Frau Morgenstern, ich hatte Sie fast schon etwas vermisst. Schön, dass Sie nach zwei Jahren Pause eine neue Platte gemacht haben, denn seit ca. zehn Jahren überzeugen Sie mich immer wieder davon, dass es so etwas wie anspruchsvolle, elektronische deutsche Popmusik tatsächlich gibt. Und auch wenn ich immer noch etwas ihrer Vermona-Orgel nachtrauere, diesen mächtigen Bechstein-Flügel haben Sie diesmal wirklich gut im Griff, Respekt. An Ihren Gesang muss man sich zwar erst wieder etwas gewöhnen, aber diese teutonische Kantigkeit hat doch immer irgendwie hervorragend mit Ihren hoffnungslos romantischen Arrangements und rätselhaft lyrischen Texten korrespondiert. Mittlerweile sind Sie ja als echte Repräsentantin des deutschen Kulturguts etabliert und das hört man auch bei "Bm", wo Sie den Schritt in die Neo-Klassik und damit in die Hochkultur wagen, und das wirklich gekonnt.

 

Jetzt kann das Feuilleton ruhig kommen! Das stört mich aber nicht weiter, denn "Bm" ist alles andere als eine verkopfte Angelegenheit, auch wenn es möglicherweise Ihr bisher komplexestes und experimentellstes Album geworden ist, ohne dass dabei Ihre wunderschöne nachdenkliche Emotionalität zu kurz kommen würde.

In Ihrem Wohnzimmer habe ich mich immer am wohlsten gefühlt, auch wenn Sie es diesmal in einen Konzertsaal verlegt haben, aber das macht Ihre neue Platte nur zu einem noch viel größeren Genuss.

(9)

Missy Mag über BM

Groove über BM

Barbara Morgenstern kann alles: leise und laut, schnell und langsam, opulent und reduziert, Electro, Pianoballaden, und mit „Jakarta“ ein Stück Ambient mit Gesang, was als Pop gedacht so ungefähr das Schwierigste überhaupt ist. Die über den divergierenden klanglichen Grundierungen stets wiederkehrende Signatur der Stücke ist Morgensterns helle klare Stimme. Ihr fünftes Soloalbum BM ist von einer aktiven und immer aufmüpfigen Melancholie geprägt. Es geht um Ängste und Fluchten, um das allzu reale alltägliche Elend. Eine reflektierte Innerlichkeit, die die große Geste nicht scheut und von Morgensterns wacher Beobachtungsgabe zeugt. Eine fragile, nicht selten vergrübelte aber grundsätzlich nicht resignative Außenseiter-Position, wie sie ähnlich Robert Wyatt seit über dreißig Jahren einnimmt. So ist es eine naheliegende aber dadurch nicht weniger schöne Überraschung, dass Wyatt den Song „Camouflage“ mit einem seiner raren Gastauftritte adelt. Die Musik Barbara Morgensterns nähert sich seiner widerständigen Alterslosigkeit immer weiter an – ohne jede Anbiederung. Elektronisch oder nicht, BM ist einfach umfassend informierte und elegante Popmusik, die alle kategorischen Zuschreibungen alt aussehen lässt.

Frankfurter Rundschau über BM

Schöne Berliner Dissonanzen

Im Kreis von 20 Metern um Barbara Morgensterns Wohnung gibt es zwei Galerien und ein schönes Restaurant mit frisiertem Namen. Wir sind in Berlin-Mitte. In jenem Stadtteil also, der zusammen mit Prenzlauer Berg die bundesweite Metapher für die kreative Mittelklasse darstellt. Oder bloß deren Tapete. Es gibt aber sozial monochromere Ecken als gerade diese. Neben der einen Galerie steht ein nicht so schönes öffentliches Bad, dazwischen liegt ein Seniorentreff und ein Design-unverdächtiger Trödler. Und die Grenze zum Wedding, Bezirk vieler Ausländer und Ärmeren, ist nicht mehr weit. "Es geht um die Sicht auf uns selbst / Wir sind Thirtysomething Middle Class", singt Morgenstern im Song "Monokultur".

Der kleine Rundgang führt nicht nur zur Musikerin selbst im vierten Stock, sondern auch mitten in ihr fünftes Album. Mindestens vier Songs auf "bm" handeln von der Stadt, in der Morgenstern seit 1994 wohnt. Die Single trägt sie gleich im Titel: "Come to Berlin" besingt auf Deutsch den Hauptstadthype, dem die Musikerin auf Konzertreisen begegnet, und die Stadt zu Hause mit den Baulücken und "Freiräumen", die im Zentrum stetig verschwinden.

"Ich bin Teil des Ganzen", sagt Morgenstern. Teil einer "unaufhaltsamen Entwicklung", die den Palast der Republik schleift und ein altes Schloss rekonstruiert. Einer Entwicklung, die Wohnraum verteuert und die Kaputtheit, welche Klaus Wowereit mit "arm, aber sexy" pries, an den Rand der Stadt drängt. Bloß, wer ist dieses "Wir", Frau Morgenstern? "Wir, das sind Kulturschaffende, die viel herumreisen und elektronische Geräte um sich scharen. Ich profitiere als Mitglied der bekannten Berliner Elektronikszene, ohne deren Ruf ich ja nicht im Ausland mit deutschen Texte auftreten könnte. Und mein Freund ist Webdesigner." Wird das von der Musikerin beanspruchte "Wir" bald vierzig und hört auf den Geheimnamen Bürgertum? Sie lacht. "Ja, wir sind das moderne elektronische Bürgertum." Was ist daran verwerflich? Jetzt lacht sie auch, aber wartet etwas länger. "Verwerflich daran ist natürlich nichts." Wir, nur Frau Morgenstern und ich jetzt, befinden uns in einer Diskussion über bürgerlichen Selbsthass. Oder sagen wir: Selbstzweifel.
Fast alle Lieder auf dem Album verraten aber auch musikalisch eine Mobilität, die man sozial nennen möchte. Denn die Elektro-Chanteuse und Orgelspielerin, die Beatbastlerin und Vertreterin der einstigen Wohnzimmer-Bewegung, die Ende der Neunziger noch kuschelige Konzerte in Privaträumen zelebriert hatte, diese Barbara Morgenstern entdeckt nun das bürgerlichste aller Instrumente: den Flügel. Alles klingt jetzt gut, nichts arm. "bm" kennt den Dancefloor-Feel allenfalls in ein paar zerdehnten Strophen und seltenen Krachbeats. Das meiste tendiert aber zum akustischen Song. Man hört die frische Begeisterung, dieses große Instrument so richtig in Anspruch zu nehmen. Zweitonakkorde stehen dissonant zueinander und reiten oft eher rhythmisch als harmonisch durch die Songs. Immer wieder zupft und schlägt sie auch die Saiten des Flügels. In den Clubs, in denen Morgenstern spielt, mag das ungewohnt sein. Das gilt auch für das Schlagzeug und die leise verzerrten Gitarren. "Ja, vielleicht verlasse ich allmählich meine Räume." Vom edlen Konzerthallen-Pop ist "bm" aber weit entfernt.
In "Morbus Basedow" wird ihre eigene Geschichte am deutlichsten. Der elektronische Krach zu Beginn wirkt wie ein Bannstrahl vor zu viel Dunkelheit, den Refrain in Moll spielt sie beim ersten Durchgang ohne Text, nur die Pianolinie tänzelt. Erst dann hört man: "Unser Ende ist eine Sicherheit / Die vor uns versteckt hinter Mauern wächst." Es geht um den Tod. Um das Älterwerden. Um die Unsichtbarkeit der Alten in ihrem Bezirk. Jetzt, Ende dreißig, sterben die Eltern. Und im Titel steht die Drüsen-Krankheit, die Morgensterns Augen etwas nach außen kehren. Morbus Basedow, das ist vielleicht die Umkehrung ihrer Initialen: mb, bm.

 

Wo in "Morbus Basedow" die harsche Elektronik vor Melancholie schützt, gibt sich ein anderes Stück verletzlicher: "Camouflage", von und mit dem Briten Robert Wyatt, dem Gründer von Soft Machine in den Siebzigern. Der alte Mann sitzt zu Hause im Rollstuhl, beantwortet höflich Briefe und hat den Song per regulärem Postverkehr mit Morgenstern eingespielt. Glaube sei nur eine Tarnung für Angst, singen die beiden. Dann säuselt Wyatt ein Scatsolo, so melodiegewandt wie der späte Chet Baker. Damit lockt man keine Clubber aus der Ecke. Aber die Initiative Musik auf den Plan, die staatliche Fördereinrichtung, die auch mit Morgensterns Bild wirbt und von der geschrieben wird, sie unterstütze die Künstler mit durchschnittlich 20 000 Euro.

Morgenstern erhält 40 Prozent der Inlandflüge ihrer letzten USA-Tournee. Das werden dann so um die 180 Euro sein. Vorher muss sie aber noch die Formulare fertig ausfüllen. Und den Flügel für die Plattentaufe mieten, kommt ihr gerade in den Sinn.

Exberliner über BM

Spex über Barbara Morgenstern - Auf der Suche nach einer eigenen Kunstsprache

AUF DER SUCHE NACH EINER EIGENEN KUNSTSPRACHE

Text: Max Dax

Die Lieder der Wahlberlinerin und Elektronikproduzentin Barbara Morgenstern bestechen mit einer unkorrumpierten, tief berührenden Sprache, die emotionale Momente für immer in Worte zu fassen vermag. Auf ihrem neuen, fünften Album »BM« gelangen Morgenstern Textminiaturen von großer Dichte. Sie singt auf Deutsch und Englisch, wobei sich die englischsprachigen Passagen reibungslos neben das Deutsche stellen: »Come To Berlin« heißt der Schlüsselsong. So hat sich noch keiner vor ihr mit dem rasanten Wandel Berlins auseinandergesetzt. Das liegt auch am anhaltenden Erfolg Barbara Morgensterns im Ausland, das sie auf Welttourneen unentwegt bereist. Denn auf Reisen, sagt sie, habe sich sowohl ihre Sprache wie auch ihr Blick auf Berlin verändert.

Ich singe und texte auf Deutsch. Nicht nur mir, sondern auch vielen anderen deutschsprachigen Sängern geht es so, dass wir trotz, mit, oder gerade wegen der deutschen Sprache im Ausland viel stärker wahrgenommen werden als hierzulande. Das ist schon seltsam. Und auch ein bisschen schade, denn ich werde oft gefragt, was ich da eigentlich singe. Klar, im Ausland wird die deutsche Sprache als Sound wahrgenommen. Ich antworte dann: Ich schreibe nicht über die Liebe. Aber sehr wohl schreibe ich über Erlebnisse, nach denen ich das Gefühl verspürte, dass sie zusammengefasst gehören in einem Text. Oder über Erkenntnisse, die ich wiedergeben möchte. Wenn ich schreibe, versuche ich, solche Überlegungen und Anlässe zu generalisieren, also allgemeine Worte für das Besondere zu finden. Es geht mir eben nicht darum, genau zu dokumentieren oder zu schildern, sondern um verständliche Abstraktion.

 Gerade ein solcher Wunsch nach Abstraktion erlaubt Wortspiele und gelegentlich auch eine falsche Grammatik – wenn sich zwischen den Zeilen neuer, anderer Sinn ergibt. Das mache ja nicht nur ich so. Rainer Werner Fassbinder ist ein gutes Beispiel für das, was ich meine: Er betitelte einen seiner Filme »Angst essen Seele auf«. Falsches Deutsch. Wunderschöner Satz. Totaler Sinn.

Ich bediene mich immer wieder Bildern aus der Natur. Das ist ein roter Faden in meinen Texten. Jeder Texter hat einen solchen eigenen Sprachraum, in dem er oder sie sich am wohlsten fühlt. Das kann Straßenslang sein, bei mir sind es Naturbilder. Die Songs meines Debütalbums »Fjorden« von 2000 habe ich in einer Datscha bei Eberswalde geschrieben, unter dem Eindruck der mich umgebenden Natur. Wenn man in so einem Häuschen im Wald sitzt, dann ist alles anders, hört sich alles ganz anders an als in der Stadt. Die Toilette der Datscha war ein kleiner Verschlag im Garten. Ich bekam nachts, wenn ich stundenlang über meinen Texten am Tisch gesessen hatte und nach draußen musste, regelmäßig Angstschübe. Die Natur um mich herum war in der Dunkelheit zu unheimlichem Territorium geworden. Dieses Gefühl ließ auch nicht nach. Der nahe gelegene See mit seinen siebzig Metern Tiefe wurde zu einer beängstigenden Vorstellung. Nach einer Woche in der Einsamkeit wurde alles nur noch unheimlicher. Durch Imagination, durch Geräusche. Ich begann mir einzubilden, nachts stünde jemand vor meinem Fenster. Ich sah immer mein Spiegelbild im Fenster – und phantasierte dahinter eine Bewegung. Mir schossen Bilder aus »Twin Peaks« und »The Blairwitch Project« durch den Kopf.

Aber es war gut, dass ich dort gewesen bin, alleine, und schrieb. Der Song »Der Hintergedanke« beschreibt genau diese eben geschilderte Situation: »In meinem Kopf lebt die Gestalt / Die abends spät zu mir im Wald / Ans Fenster trat und lautlos sprach / Was sonst am Tag im Lärm verhallt«. Das hätte ich nicht geschrieben, wenn ich nicht in dem Schreibzimmer mit meinen Ängsten und den Geräuschen, die in der Stadt verschwinden, konfrontiert worden wäre: »Ich bin der, der nicht spricht / Der den Mut in dir bricht / Ich komm’ sehr weit aus dir / Sieh mich an, ich bin hier«. Ganz klarer Fall von Urangst. In diesem Falle gab es also einen konkreten Ansatz, das Lied zu schreiben. Entscheidend ist, dass das, was mir durch den Kopf geht, für etwas Größeres steht, das auch andere nachvollziehen können. Die eben beschriebene Angst, die durch das schnelle Leben in der Großstadt verdrängte Angst, versuche ich in eine mir gemäße Sprache zu bringen. Mir gemäß heißt: Sie muss für mich gut klingen, sie muss mich berühren, es muss eine Sprache sein, die auf mich zutrifft. Und gleichzeitig achte ich immer darauf, dass meine Zeilen entschlüsselbar bleiben, niemanden ausgrenzen – dass alles auf mehreren Ebenen verstanden werden kann. Es geht nicht darum, dem Hörer mitzuteilen, dass Barbara Morgenstern vor Angst gezittert hat in einer Datscha bei Eberswalde.

Es geht um Mehrschichtigkeit. Deshalb mag ich auch Jochen Distelmeyers Texte so sehr: Jedes Mal, wenn ich einen Song von »Ichmaschine« höre, höre ich einen neuen Aspekt – Interpretationsraum. Seine Texte waren für nicht nur für mich eine Initialzündung. Für viele Texter sprachen Jochens Texte aus dem Herzen. Er war der erste, der allen gezeigt hat, dass es möglich ist, in deutscher Sprache zu texten. Ich habe dann herausgefunden, dass er seine Texte aus verschiedensten literarischen Quellen zusammengesampelt hat. Ich war da irgendwie enttäuscht. Blixa Bargeld war ein weiterer Impulsgeber. Die Neubauten-Platte »1/2 Mensch« – vor allem auch das Titelstück selbst – habe ich ungezählte Male gehört, damals war ich vielleicht 14 oder 15 Jahre alt und lebte in Hagen im Ruhrgebiet. Wenn ich heute texte, dann ist Blixa also so etwas wie ein Pate. Ein Pate, der es mir – ähnlich wie Jochen Distelmeyer – erlaubt hat, in meiner Muttersprache zu schreiben.

»›Come to Berlin‹ hat das Leben meiner Mutter zum Thema – und ist zugleich eine Auseinandersetzung mit der Stadt, in der ich lebe. Rückblick, schließlich ist meine Mutter jetzt schon alt, und Gegenwartsbetrachtung verschwimmen. In dem Text thematisiere ich den Ausverkauf der Stadt – und nehme gleichzeitig eine Inventur der Erinnerungen vor.«

Auf Deutsch zu texten hätte aber auch etwas ganz Naheliegendes sein können.Im Nachhinein ist es aufschlussreich, dass es eines Sängers und Texters wie Jochen Distelmeyer bedurfte, um die deutsche Sprache plötzlich als Möglichkeit zu begreifen. Ganz abgesehen davon, dass ich auf Englisch gar nicht so genau, nur mit einem ganz limitierten Wortschatz ausgestattet, schreiben kann.

Hast du jemals Gedichte geschrieben?
    Nein, eben nicht. Vielleicht wäre ich viel früher auf die Idee gekommen, auf Deutsch zu texten, wenn ich längst über einen Berg an Gedichten verfügt hätte, mich bereits in diesen Formaten einer Kunstsprache bedient hätte.

Inwiefern rückkoppelt der Umstand, dass du im Ausland wahrgenommen und thematisiert wirst, auf deine Textarbeit?
    Es stellt die Texte infrage. Während die Musik begriffen wird, werden die Texte nicht begriffen. Sprache wird zu Sound. Das sehe ich als Ansporn, noch freier zu werden mit den Worten: Wenn es ohnehin nicht verstanden wird, habe ich ganz andere Freiheiten.

Was passiert dann?
    Dann vertont zum Beispiel Justus Köhncke meinen ebenfalls auf »Fjorden« enthaltenen Song »Der Augenblick« für sein Album »Was ist Musik« und interpretiert den Text ganz anders, als er von mir gedacht war. Das finde ich total gut. In dem Text geht es um die Wahrung von Grenzen: »Wer sich scharf mit der Zeit / Seinen Weg mit Blicken schreibt / Stößt inmitten des Wegs auf die Tür die Grenze heißt / Doch am Eingang steht groß / Tritt herein und tu was du willst«. Justus begriff die Zeilen als flirty Situation, sexy. Für ihn war das ein total positiver Song. Ich hingegen hatte abermals die Abgründe von David Lynch vor Augen, denn es heißt an späterer Stelle: »Und im Zimmer danach sitzt das Tier und hütet mich / Und am nächsten Tag wird der Raum entleert / Ich geh rüber und vernichte dich / Den Augenblick«. Tatsächlich beschreibe ich hier eine unangenehme Begegnung. Ich mache alle Türen auf, obwohl ich es nicht will. Und am Ende muss ich diesen Augenblick in meinem Bewusstsein ausradieren, um mich vor der Erinnerung zu schützen, um vor mir selbst mein Gesicht zu wahren.

David Lynch wirbt für Transzendentale Meditation. Er sagt, dass dies eine geeignete Methode sei, sich selbst mit dem Verschüttenden zu konfrontieren.
    Ehrlich gesagt, habe ich schlimme Berichte über seine Vorträge gehört. Seine gruseligen Filme indes sind großartig, sie suggerieren einem, man sähe mit einem Mal die Wahrheit.

Film wie auch Sprache sind als Medien in der Lage, in unser Bewusstsein hineinzukriechen.
    Und das suche ich. Ich werde ja auch beherrscht von der Verdrängung.

Statt zur Analyse zu gehen, schreibst du.
    Richtig. (lacht) Ein guter Grund, nicht zum Psychiater zu gehen. Ich empfinde eine unglaubliche Befriedigung darin, einen Text irgendwann abzuschließen – weil damit dann abermals ein Thema abgearbeitet ist und auch emotional ad acta gelegt werden kann.

Zumal es auch eine Oberfläche gibt mit Zeilen, die sich einem einprägen können – weil sie für sich gesehen prägnant sind.
    Ich liebe Verschachtelungen und Doppeldeutigkeiten, so lange es sprachlich nicht zu kompliziert wird, denn ich will ja verständlich bleiben. Wie sich die Verschachtelungen schlussendlich auflösen, das fällt einem vermutlich leichter nachzuvollziehen, wenn man die Texte dann auf dem Textblatt liest. Aber ich achte stets darauf, dass doppeldeutige, codierte, verschachtelte Zeilen auch beim flüchtigen Hören im Ohr hängen bleiben können. Denn so funktioniert Pop doch: Eine Zeile oder ein Refrain bleibt hängen, vielleicht eines Tages schenkt man dem Rest des Songs Gehör. Um Pop zu sein, müssen sich Zeilen dann und wann reimen. Oft steht die Grammatik dem Reim im Weg. So schließt sich der Kreis. Verbote schränken ein. Ich darf in einer Strophe die Zeiten wechseln, wenn es danach besser klingt.

Auf deinem neuen Album »BM« gibt es den Song »Reich & berühmt«. Da findet sich die Zeile: »Warum existiert dieser Druck, mit dabei zu sein«. Ist das dieses falsche Deutsch? Schließlich müsste es ja eigentlich heißen: »mit dabei sein zu müssen«.

    Genau. Es bestätigt das, was ich gerade gesagt habe. Und inhaltlich sagt diese Zeile: Ich möchte mich befreien von diesem Druck. Ich möchte mich dem Druck, vorne mitmischen zu können, nicht aussetzen. Mit anderen Worten: Bin ich mir selbst genug, bin ich mit mir im Reinen? Oder geht es mir um Anerkennung von außen? Oder heißt es: Ich will Geld verdienen und bin bereit, mich dafür zu verbiegen. Kurz: Ich hinterfrage dieses Streben nach Aufmerksamkeit. Das Thema beschäftigt mich seit längerem. Ich erinnere mich noch daran, unter welchen Umständen »Reich & berühmt« entstand. Es gab eine Diskussion unter Freunden. Wir stellten fest, dass für uns alle ›früher‹ Geld keine Rolle gespielt hat – und jetzt plötzlich, wo wir alle älter werden, eben doch. Einer von uns sagte diesen Satz: »Uns war eigentlich Geld egal.« Auch so eine krumme Syntax, aber dieser Satz blieb hängen. Man kann sagen, dass dieser Satz den Nukleus des Songs darstellt. Und wenn ich dann das Gefühl bekomme, dass ich nicht die einzige bin, die sich mit diesem Thema beschäftigt, dann rechtfertigt das umso mehr einen Song. Und von diesem Moment an suche ich nach gelungenen Formulierungen, die zu der Ausgangsformulierung passen. Im fertigen Song lesen sich die Zeilen dann wie folgt: »Niemand von uns trägt der Wunsch / Ich will reich und berühmt sein / Geld war uns egal / Noch viel mehr: das war Abschaum«. Und natürlich schwingt in der Wahl dieses Themas von meiner Seite ein gewisses Unverständnis für die Position so vieler junger Menschen heutzutage mit, die reich und berühmt sein wollen, ein ›Star‹ sein wollen, aber nichts dafür einzubringen bereit sind. Geld als Fremdsprache, sozusagen.

Ich zitiere: »Sie reißen ab, was die Stadt interessant macht / Osten und Westen sind beinahe schon gleich«.
    Das sind Zeilen aus dem neuen Song »Come To Berlin«. Er hat das Leben meiner Mutter zum Thema – und ist zugleich eine Auseinandersetzung mit der Stadt, in der ich lebe. Rückblick, schließlich ist meine Mutter jetzt schon alt, und Gegenwartsbetrachtung verschwimmen. In dem Text thematisiere ich den Ausverkauf der Stadt – und nehme gleichzeitig eine Inventur der Erinnerungen vor, versuche ich ein Verständnis für den Lebenslauf meiner Mutter zu entwickeln, einer ›typischen‹ Frau im Nachkriegsdeutschland. Sie kam aus dem Osten und ging in den Westen, wurde mit diesem Schritt quasi heimatlos. Dieses Schicksal nahm in einer Zeile Gestalt an, die sich in dem Schlüsselsatz des Songs manifestiert: »Und meine Mutter in den sechziger Jahren / Ist mit der S-Bahn ins Fremde gefahren«. Das Jahrzehnt und der entscheidende Moment in ihrem Leben habe ich in einer Zeile zusammengeführt. Der Blick von außen auf die Stadt, und der Blick von innen, stehen nebeneinander. Solche Momente passieren im Leben nicht oft: 15 Minuten, in denen sich alles ändert, in denen die Würfel neu fallen. Es gibt selten bessere Aufhänger für einen Song als eine solche Geschichte, in der es um alles geht.

musikexpress über The Grass Is Always Greener

Einen schönen guten Tag in der Gameboy-Disco, die Künstlerin schneidet sich die Welt, wie sie ihr gefällt, mit Erdbeer- oder Apfelkleidchen, mal im Morgenmantel, mal ist sie Nonne, das sieht man im Video zur neuen Single. "Take Me To The Operator, Take Me To The Operator", singt sie. Bei Barbara Morgenstern sind solche Zeilen von bleierner Leichtigkeit, sie strahlen durch den Song, doch fallen wollen sie nicht. Sie bleiben in der Luft stehen. Zeilen, die ihr als Kulturbotschafterin Deutschlands auch nicht gerade verschrieben worden sind.

Die Berliner Chanteuse und Elektropopperin arbeitet seit Jahren erfolgreich an der Vermittlung von Zwischen- und Gegentönen, die sie mit der größtmöglichen Sorgfalt vor der Vereinnahmung bewahrt. Nichts Muss von 2003 war ihr bisher bestes Album. Die Welttournee, die sie in der Folge mit Maximilian Hecker im Namen des Goethe-Instituts absolviert hat, hinterläßt Spuren auf The Grass Is Always Greener. Angefangen beim Titel, der auf den Vergleich zwischen dem gerade Vorgefundenen und dem Erträumten anspielt, bis zu den On-the-road-Bildern von der langen, langen Reise. Mailand, Tokio, San Francisco - das sind die Stationen der Traumschule von Barbara Morgenstern.

Das neue Songdutzend dokumentiert die auratische Sonderstellung der Musikerin, die ihr Piano im Kreis spielt, ohne die Orientierung zu verlieren, die sich immer wieder zu Stücken, Themen, Gedanken inspirieren lädt, ohne daraus geschlossene Systeme zu entwickeln. Eher tappt sie schon mal in so eine honigfarbene Jochen-Distelmeyer-Harmonie und kommt nicht mehr heraus. Macht nix. Wir haben Piano, Loops und die Sängerin. "Alles, was lebt, bewegt sich", gephasert, hochgepitcht? Es ist fremd, es ist seltsam, es ist so, wie es ist.

kulturnews

Auf dem Cover sieht man Morgenstern, wie sie eine wüst zusammengestückelte Wolkenkratzercollage hinter sich lässt, und sofort denkt man dabei an die postmoderne Stilvergessenheit des Potsdamer Platzes: goodbye Hauptstadthype. Morgenstern hat ihren Sound nicht nennenswert verändert. Immer noch verträumte Elektronik, introspektive Texte, Anknüpfungen an Chanson auf der einen Seite, an Techno auf der anderen. Wohnzimmerpop halt, nur dass mittlerweile nach Klischee klingt, was vor drei Jahren in seiner schonungslosen Intimität noch neu war. Aber wie der Vorgänger "Nichts muss" ist auch "The Grass is always greener" ein Album, das sich nicht sofort erschließt; Veränderungen sind bei Morgenstern im Detail versteckt. Zum Beispiel spielt die bislang prägende Vermona-Orgel nur noch eine Nebenrolle, wurde ersetzt durch Piano und aufwändige Elektronik. Auch fehlt der aktuellen CD das Maßlose, das Mäandernde, vielleicht auch das Raffinierte. Morgenstern ist konventioneller geworden. Eine Absage ans Hauptstädtisch-Aufgeregte. Ein kleiner, großer Wurf.

ox-fanzine über The Grass Is Always Greener

Barbara Morgenstern wird es wahrscheinlich nicht mehr hören können, aber es gibt sicher immer noch genug Leute, die ihrem alten, leicht trashigen Vermona-Wohnzimmer-Elektroniksound nachweinen. Den hat sie allerdings schon etwas länger hinter sich gelassen und präsentiert auch auf ihrer neuen Platte einen im ersten Moment etwas austauschbar wirkenden, synthetischen Laptop-Sound.

"The Grass Is Always Greener" braucht ein paar Durchgänge, aber dann ist sie wieder da, die Magie von Morgensterns naiv-romantischen Lyrics, ihren angenehm unperfekten, altmodischen Popsongs und eine grundsätzlich sehr warme Atmosphäre, die man nicht auf jeder rein elektronischer Platte finden kann, und sich vielleicht ja mit einem gewissen femininen Touch erklären lässt.

Bei Morgenstern stehen halt Kerzen auf dem Laptop - eine hoffnungslose Romantikerin eben. Neben der richtig straighten Elektropop-Nummer "The Operator" - da sind die frühen DEPECHE MODE nicht weit - überraschen immer wieder die wunderschönen Instrumentaltracks, bei denen Morgenstern auch ohne ihren leicht kantigen Gesang sehr charakteristische, atmosphärische Elektronik-Sounds gelingen.

Seit ihrer Debütplatte von 1997 - ihre alte Band OOF! davor wird ja immer gerne unter den Teppich gekehrt - ist sie jedenfalls ein Garant für Elektronikmusik mit deutlich menschlicher Note und ohne aufdringlichen Hipness-Faktor, man könnte es auch einfach nur schlicht Popmusik nennen, und zwar die der richtig guten Sorte.

(09/10)

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