Interview with the German newspaper Die Zeit
Wie wir halt so leben
Die Elektronikmusikerin Barbara Morgenstern besingt das Hin und Her des Menschen – nun auch auf Englisch.
Wir sind bei ihr im Studio verabredet, unten sei keine Klingel, einfach mit dem Handy kurz durchrufen, sie komme dann runter. Und so stehe ich nachmittags um vier in drückender Schwüle vor dem Backstein der Kunstfabrik in Berlin-Treptow und tippe ihre Nummer. Früher erhob sich hier um die Ecke der antifaschistische Schutzwall, jetzt wartet das Badeschiff in der Spree auf Schwimmer; Cafés am Wasser, ein Techno-Club und Public Viewing – die neue Grenze verläuft zwischen Arbeit und Schlaf, auf einem Vergnügungsstreifen.
Eine Frau in Sweatshirt und Trainingshose tritt durch die Stahltür ins Licht, das ist also Barbara Morgenstern. Ich habe sie noch nie gesehen, nicht einmal auf der Bühne, immer nur auf Platten gehört, und so begegne ich einer Fremden, die ich gut kenne und die mich gut kennt, wie könnte sie mich sonst so verrückt machen mit ihren Zeilen. Ich hänge seit Jahren an ihren Lippen; sie duzt mich sofort.
Im zweiten Stock eine Schiebetür, dahinter ein riesiges Atelier, hohe Decken. Ein paar Gemälde stehen herum von malenden Untermieterinnen, warme Luft durch die Fenster, Himmel, Grün.
Sie hat gerade ein neues Album herausgebracht, Sweet Silence, schöner Anlass zu reden, und es erscheint mir so unangemessen wie unabwendbar, gleich scharfen Protest anzumelden, während sie noch am Gasherd steht und einen Espresso rauszischen lässt. Wie kann sie nur auf Englisch singen jetzt! Hat sich denn außer mir niemand beschwert?
»Ich bekomme Applaus, freundliche Mails, nur selten ein differenziertes Echo«, sagt sie mit fein dosiertem Amusement. Ein »Ogottogott« sei nicht zu ihr gedrungen, aber Freunde hätten ihr gesagt, sie müssten sich ans Englische erst gewöhnen.
Zum Beispiel diese Zeilen, insistiere ich:
Das Umland und seine Stadt
Haben fast nichts miteinander zu tun
Hat man so was in deutschem Liedgut je gehört? Also, außer bei Brecht vielleicht. Das hat sie vor einigen Jahren über Berlin gesungen! Und dann noch hinterhergeschoben:
Wir sind sexy und arm und begehrt
Und das Brachland drum herum scheint nichts wert
Stadtplanerisches Liedermaching, so hatte ich es verstanden, großartig! Jetzt lächelt sie undosiert. Sie sei früher jede Woche nach Kleinmachnow rausgefahren und auf dem Weg zurück in der S-Bahn einem Roma-Paar begegnet, das sie so beeindruckt habe. Der Rassismus rund um Berlin und das Multikulti mittendrin, wie das so gar nicht zusammengehe...
Also weniger Stadtplanung als Intoleranz? »Ich kann schwer erklären, was ich meine.«
Kritiker haben das Verrätselte ihrer Texte moniert; sie nennt es Offenheit: »Wenn man bei einer Zeile denkt, ›ja, genau‹, das ist das Schönste, was man mir sagen kann.« So wird ihr mein Missverständnis zum Kompliment, aber ich mache es gerne. Ihre Lieder kreisen um Fragmente des Alltags, um das Hin und Her des Individuums und um das Vorübergehende unseres Daseins, das wir nach Kräften zu vergessen suchen.
Ich lief sehr viel / Doch das Ziel / Kam nicht näher Dann stand ich still / Und es fiel / Auf mich nieder
Was immer sie damit meint, man versteht es schon richtig. Und nun also auf Englisch.
Who wants to cut back / On hedonistic behavior Try to be brave / Face the cost of this favor
Das möge übersetzen, wer will: Es wird auch da kein deutscher Schlager draus.
Letztes Jahr habe sie bei einem Projekt des Goethe-Institutes mit afghanischen Frauen Englisch singen müssen und gestaunt, wie leicht das sei. Wie zur Bestätigung wirft sie mir den Satz zu: »Das Deutsche ist hakelig als gesangliche Transportsprache.«
Zudem würde sie gern mehr Hörer erreichen, anderswo. Anfangs, in den Neunzigern, habe sie die deutschen Texte noch unter den Teppich ihrer elektronischen Musik gekehrt. Dann sei sie im Ausland immer wieder um Übersetzungen gebeten worden. Natürlich habe sie sich gefragt: »Kann ich auf Englisch schreiben?« Sie habe es versucht und sich mit zwei Muttersprachlern im Café getroffen. Die hätten die Texte gelesen, hier und da die Grammatik beanstandet, einzelne Wörter, aber »viel weniger als gedacht«. Und nun der Lohn des Wagnisses: internationales Echo, die erste Interviewanfrage aus England, »wir machen das nächste Woche per Skype«.
Beginnt nun die große internationale Karriere der Barbara Morgenstern? Es wäre nach zwei Jahrzehnten im Musikbetrieb erstaunlich und spät, und sie rechnet wohl nicht sehr damit. Sie zählt zu jenen Musikern des sogenannten Independent, die sich selbstbewusst in einem Mittelfeld eingerichtet haben, nicht der Qualität, aber der Quantität. Einen Teil ihres Geldes verdient sie als Chorleiterin am Berliner Haus der Kulturen der Welt, wo sie ungewöhnliche Herausforderungen zu meistern hat, wie kürzlich jene, das Geräusch einer startenden Boeing zu singen. Das war für ein Video zur Schließung des Tegeler Flughafens, das man nun ja noch länger zeigen kann.
Ansonsten hat sie Mann und Kind und einen geregelten Alltag. Halb sieben aufstehen, neun Uhr die Tochter in die Kita, neun bis halb zehn Mails bearbeiten, zehn bis vier Studio. »Struktur ist alles. Das liebe ich: allein im Raum zu sein und Musik zu machen. Hier gibt es auch kein Internet.« Aber ein Handy? »Nur ein altes Afrika-Handy. Das ist oft aus.«
Und um vier sei dann Feierabend, mit dem Kind nach draußen. Dann ist Spielplatz? »Total.« Ohne Handy? »Manchmal schon.« Wie wir halt so leben. Apropos, sie müsse nun auch los, nach Hause, kochen, Bratwurst mit Kartoffeln.
Ich bringe sie noch zu ihrem Fahrrad. Ein Kindersitz ohne Polster! »Rabenmutter«, rufe ich ihr nach. – »Davongeflogen«, ruft sie zurück. »Wird eh immer nass.«
Die Zeit http://www.zeit.de/2012/28/Barbara-Morgenstern Ulrich Stock Sweet Silence Show only together with the release GermanyInterview